Weltkulturerbe Wandern mit Heimvorteil

Von Breitenstein auf den Semmering

25. MÄRZ 2023 | VON IRENE BECKMANN

Haltestelle Payerbach-Reichenau. Ich klappe meine Reiselektüre zu. Der Puls steigt. Zuerst rechts, Kurve, dann links, – die Heukuppe, der verschneite Gipfel der Rax, blinzelt durch die dezent verschmutzten Fenster der ÖBB-Waggons hervor. Über malerische Viadukte, durch unzählige Tunnel gleitet der Zug aufwärts. Immer wieder flitzen die wildromantischen Felsen vorbei. Auch nach unzähligen Fahrten spüre ich sie, die Schmetterlinge im Bauch, wenn ich auf der UNESCO Welterbe Semmeringeisenbahnstrecke unterwegs bin. Auch heute. Wie frisch verliebt verzaubert mich die Schönheit der wilden Gebirgslandschaft.

 

Semmeringbahn und Raxalpe

Nächster Halt, breitenstein

Es wird dunkel, mein Handy klebt am linken Fenster wie ein Gecko an der Hausmauer. Gleich kommt es, mein persönliches Highlight. Die Galerie, die Ghega irgenwann zwischen 1848 und 1854 in den Weinzettelwandtunnel baute. Sechs mal blitzt durch die halbrunden Bögen der Semmering auf. „Nächster Halt, Breitenstein“, so die Ansage durch den Lautsprecher. Raus aus dem Zug und rein ins Wandervergnügen.

Der Bahn zum Busseln nahe, führt mich der Weg auf den Semmering. Nein, nicht dort, wo beim Blunzenwirt links durch den Spiesgraben der Abschneider verläuft. Ich leiste mir den Luxus und gehe auf dem Welterbe Bahnwanderweg, auf dem mich so manche Blickerlebnisse erwarten werden. Gleich kommt eines. Am Weg zur Kalten Rinne passiere ich das Vidadukt Krauselklause. Schnell das Handy zur Hand nehmen und ein Foto schießen, denn gerade eben fährt ein Zug drüber. Nach etwa zehn Minuten Wegzeit wartet beim Ghega Museum der nächster Foto Point. Dort posiert die Kalte Rinne für einen weiteren Schnappschuss mit Zugbegleitung.

Viadukt Kalte Rinne mit Zug
Viadukt Kalte Rinne

Heute ist Hochbetrieb auf den Schienen. Immer wieder bahnt sich durch ein leises Rauschen die Bahn an, die rasant vorbeirauscht. Ich bewege mich wie in einem Gemälde, umgeben von der Gebirgslandschaft, die sich harmonisch mit der Gebirgsbahn zu viel zitierten Motiven ergänzt. Die erste Hochgebirgsbahn, war das damals in Europa 1854. Viele Menschen mussten beim Bahnbau ihr Leben lassen. Ferdinand von Saar schrieb darüber eine lesenswerte Novelle: „Die Steinklopfer“.

Heilklima und höhenluft in Champagnerqualität

Mittlerweile habe ich den Semmering erreicht. Das ist nicht zu überriechen. Die würzige Luft belebt meine Kräfte. Erfrischt passiere ich die Labstation Hinterholz. Noch ist das ehemalige Bahnwärterhaus geschlossen aber bald wird dort wieder ein kleines Jauserl serviert. Auch die Meierei am Gelände des ältesten noch bespielbaren Golfplatzes in Österreich sperrt erst im Frühling auf. Werden die neuen Pächter:innen auch die legendäre Bananenschnitte zum Kaffee anbieten? Die Antwort bleibt mir heute verwehrt.

Schneerose in voller Blüte

Auf einmal kommt es wieder, dieses Schmetterlinge-im-Bauch-Gefühl. Weil gleich bin ich dort, auf meinem absoluten Lieblingsplatz am Semmering. Eine Schneerose begrüßt mich wie eine gute alte Freundin mit offenen Blütenblätterarmen. Ich befinde mich nun im Epizentrum des mit prickelnder Champagnerluft umhüllten Doppelreiterkogels. Mein Herz bebt und meine Synapsen vibrieren. Der Ausblick ist zum Sterben schön und zum Leben erschaffen. Egal, ob der Weitblick von der Warte oben oder vom 20-Schilling-Blick unten den Augen schmeichelt. Wer einmal da war, wird wiederkommen wollen.

20-Schilling-Blick

villen, Palasthotels und ein hauch von luxus

Berauscht und verzaubert gehe ich am Fuße des Kogels vorbei am Kurhaus, das bald aus seinem über 100-jährigen Schlaf erweckt werden wird. Es soll zu einem Luxushotel upgecycelt werden. Noch schlummert es versteckt hinter Büschen und bewahrt die Geheimnisse der einstigen noblen Kursgäste hinter verschlossenen Türen auf. Fast werde ich noch nostalgischer, wenn ich zu meiner Volksschule schaue, die am anderen Ende der Wiese vor dem schlafenden Kur-Denkmal steht. Frau Direktor Koller, die Stiefmutter der Operetten- und Musical-Diva Dagmar Koller, taucht in meinen Gedanken auf. Im weißen Arbeitsmantel steht sie vor mir, die Frau Direktor meine ich, im Klassenzimmer der Villa, die längst keine Schule mehr ist. 

Zurück in der Gegenwart gehe ich auf meinem früheren Schulweg hinauf, dorthin, wo die Villenstraße beginnt. Den Prolog schreibt die schmucke Villa Alber. Das Bauernhaus daneben war das erste Haus am Semmering.

Villa Alber

Die Villenstraße versammelt dicht beisammen die noblen Sommerfrische-Domizile der einstigen High-Society. Viele Villen werden renoviert, warten auf neue Besitzer:innen oder sind aus Solidarität mit dem Kurhaus vorerst in Dauerschlaf gegangen. Werden sie irgenwann wieder den Glanz ihrer Blütezeit aufpoliert bekommen, frage ich mich? Bitte nicht in die Nostalgiefalle treten, ermahne ich mich! Was es braucht, ist eine moderne Zukunft. Gestern war schon. Mit dem Südbahnhotel ist das gelungen. Das Dach glänzt in historischem Smaragdgrün, im Speisesaal bittet man einmal die Woche zum Tanz und im Schwimmbad spielt heute Philipp Hochmair seinen Jedermann Reloaded. 

Südbahnhotel vor dem Schneeberg

Bald werde ich vor dem Ghega Denkmal am Bahnhof Semmering auf meinen Railjet warten. Davor fange ich noch den Drei-Gipfel-Blick auf der Terrasse des Panoramahotel Wagner ein, das mein Opa in den 1960er Jahren erbaute. Von dort aus schweift mein Blick vom Schneeberg über das Raxplateau bis zur Schneealpe. Im Vordergrund blicke ich auf die Wegstrecke, die ich heute zurücklegte. Wahrlich ein würdiger Abschluss.

Die nächsten geführten Wanderungen findest du hier:

Lesetipp: Mehr über den Semmering erfährst du im Buch „Semmering – Aufbruch in die Zukunft“, das ich mit Josef Wagner im Böhlau Verlag herausgegben habe.

Bild @Böhlau Verlag

„Hier also haben sich die Künstler inspirieren lassen, hier haben sie die Luft eingesogen, die auch ich jetzt atmen darf und mich ihnen so nah fühlen darf! Ich will gar nicht mehr weg von da!“
Maria Happel in „Semmering – Aufbruch in die Zukunft“

 

„Was einen Sommerfrischler hier so ausmacht, erweckte in mir wieder ein eigentümliches, kostbares Gefühl aus Kindheitstagen, frei, genzenlos und unbeschwert zu sein.“
Regina Fritsch in „Semmering – Aufbruch in die Zukunft“

 

„Semmering – Aufbruch in die Zukunft“ ist ein klingender und vielversprechender Buchtitel, der es mit dem Pioniergeist der Vergangenheit aufnimmt und ihn in der Zukunft freisetzt.“
Christa Kummer-Hofbauer im Vorwort